Perspektivwechsel

Ich sitze am Tisch und lese die Zeitung.
Meine Kinder spielen nebeneinander auf dem Wohnzimmerteppich. Es ist so schön friedlich.
Plötzlich, aus dem Nichts, weint der Kleine. Der Große habe ihn gehauen, schluchzt er.
Oh man, wieso muss er immer so schnell aggressiv sein?



Ich sitze auf dem Teppich und spiele vertieft. Neben mir spielt mein keiner Bruder. Alle paar Minuten spricht er mich an, um mir etwas zu zeigen. Das stört mich und bringt mich auf meinem Spiel heraus. Jetzt hab ich ihn schon fünfmal drum gebeten, damit aufzuhören, aber er lässt es nicht. Das nervt! Ich stupse ihn gegen die Schulter, er soll endlich aufhören. Oh man, nun weint er. Mama ist stinksauer und schimpft mit mir.
Wieso sieht sie nicht, dass das ungerecht ist? Ich fühle mich nicht gesehen.

Authentisch sein

Meine Jungs interessieren sich für Dinge, mit denen ich mich ohne ihr Dasein vermutlich niemals beschäftigt hätte.
Das ist oftmals sehr inspirierend und es gefällt mir, durch sie die Welt nochmal ganz neu zu entdecken.
Sie kriechen mit ihren Dinos über die Erde, laufen als Feuerwehrmänner durch’s Haus und lassen kleine Ritter gegeneinander antreten.
Tatsächlich gehe ich auf ihre Lieblingsthemen sehr gerne ein – in Form von Dino-Eiern aus Salzteig, Löscheinsätzen im Innenhof oder gebastelten Ritterhelmen sowie Ritterburg aus Kissen.

Wenn sie mich jedoch fragen, ob ich mitspiele, so bleibe ich ehrlich und sage allermeistens:
„Tut mir leid, Jungs, ich spiele nicht mit.
Denn ich fühle mich dabei nicht so richtig wohl. Trotzdem sitze ich gerne hier bei euch, schaue euch zu, bin da, falls ihr mich braucht.“
Wenn gewünscht, werfe ich neue Spielideen in den Raum, stelle Bastel- und Lernmaterialien auf den Tisch oder bereite ein Experiment vor.

Früher, als mein erster Sohn noch klein war, habe ich täglich versucht, in die Rolle eines Mitspielers zu schlüpfen. Das war damals leichter, weil mein erstes Kleinkind sich eigentlich für alles interessiert hat, was ich vorgeschlagen habe.
Wenn ich heutzutage mit den Jungs mitspiele, weil ich zufällig gerade Lust dazu habe, so lachen wir meist alle, weil es auf eine lustige Weise absurd ist ?
Als Erwachsener spielt man einfach anders und das wirkt wahrscheinlich aufgesetzt.

Wenn eines meiner Kinder mit einem Buch angelaufen kommt (und das geschieht häufig), dann ist es oft zum x-ten Mal dasselbe Bilderbuch oder ein Comic ?. Dabei würde ich so gerne den spannenden dicken Wälzer weiterlesen, der meinen Kindern und auch mir sehr gut gefällt. Das sage ich ganz ehrlich:
„Ich schau jetzt dieses Buch nochmal mit dir an, weil du es möchtest. Aber ich würde mich freuen, wenn wir später diese spannende Geschichte von vorgestern weiterlesen könnten! Ich kann kaum erwarten, zu erfahren, wie es weitergeht!“

So versuche ich also, meinen Kindern gegenüber eine authentische Mutter zu sein. Gleichzeitig helfe ich meinen Kindern, ebenfalls authentisch zu sein bzw. zu bleiben, denn Kinder bringen dies von Natur aus mit. Ich zwänge ihnen nichts auf, ermutige sie hingegen, mir zu sagen, wenn sie etwas nicht möchten.

Folglich bastel ich meine Jahreszeitendeko inzwischen hauptsächlich allein, weil die Jungs lieber etwas zu ihren Lieblingsthemen basteln möchten.
Noch ein Thema ist die Musik: bevor ich Mutter wurde, dachte ich, meine Kinder würden sobald möglich ein Instrument lernen. Wir sind ja schließlich eine Musikerfamilie! Pustekuchen, sie möchten nicht, es käme nicht von Herzen.
Sie sollen frei entscheiden.
Begeisterung für tausend andere Dinge haben sie automatisch mit in dieses Leben gebracht!
Meine Aufgabe ist es, dies zu begleiten 

Freunde?

„Mama, bist du immer mein Freund?“
„Immer und immer.“

Ich bin da, wenn du vor Freude über den Rasen rennst, fröhlich lachst und gar nicht wahrnimmst, dass ich dich ansehe.

Ich bin da, wenn du vor Ärger platzt und nicht aufhören kannst, zu brüllen, weil dir ein Geschehnis als so ungerecht erscheint, dass du es kaum aushalten kannst.

Ich bin da, wenn du alles richtig und perfekt machen möchtest, gar kein Ende finden kannst, obwohl ich dir immer erkläre, dass es darauf nicht ankommt.

Ich bin da, wenn du voller Ungeduld zappelst und keine Muße finden kannst, etwas Angefangenes zu Ende zu bringen, auch wenn so viele Stimmen sagen: das braucht das Kind für’s spätere Leben!

Ich bin da, wenn du mich anstrahlst vor lauter Liebe und die Lebensfreude dir ins Gesicht geschrieben steht.

Ich bin da, wenn du aus dem Nichts vor Wut kochst, mit Stühlen um dich wirfst und dir wünschst, ich wäre nicht deine Mutter.

Ich bin da, wenn du ins Leere starrst, weil du in einer ganz eigenen Welt versunken bist und nicht siehst und hörst, dass deine ganze Familie beim Essen sitzt und auf dich wartet.

Ich bin da, wenn du dich fest an mich drückst, dich nicht von mir lösen kannst und mich so sehr brauchst.

Ich bin da, schaue dich an und versinke in Liebe, wenn du fest eingeschlafen bist.

Ich bin da und immer dein Freund, wegen deiner Unbändigkeit und Anhänglichkeit, deiner Stärke und Schwäche, deiner Angst und Zuversicht, deinen Ecken und Kanten sowie deiner sanften Seele, deiner Andersartigkeit und Gleichheit.

Danke, dass auch DU mich deinen Freund nennst.
♥️

Wenn dein Kind morgens sagt:

„Mama, ich mag heute nicht in den Kindergarten gehen. Ich will zuhause bleiben.“ Was antwortest du, wenn du diesen Wunsch deines Kindes nicht realisieren kannst?

Vielleicht sagst du:
„Du kannst heute nicht zuhause bleiben, denn ich muss arbeiten. Außerdem sind im Kindergarten all deine Freunde! Du wirst schon sehen, wie viel Spaß es macht, wenn du erstmal da bist!“

Das klingt wie ein Dialog auf Augenhöhe. Aber ist es das ?! …

Hier sind ein paar weitere Möglichkeiten, was Eltern sagen oder fragen können:
„Möchtest du mir erzählen, warum du heute nicht in den Kindergarten möchtest?“
„Ich verstehe so gut, dass du lieber hier zuhause weiterspielen würdest. Vielleicht könntest du ein kleines Spielzeug mit in den Kindergarten nehmen?“
„Du gehst im Moment nicht so gerne in den Kindergarten, oder? Wie wäre es, wenn du heute mein Armband mitnehmen darfst, das du so gerne magst?“

Mit dieser Art Kommunikation fühlt sich dein Kind wahrgenommen.
Probier es aus ♥️

Auf Augenhöhe

Kinder kooperieren immer. Okay, so gut wie immer… ?
Schau dir mal euren Familienalltag an.
In so vielen Momenten macht dein Kind einfach, worum du es bittest. Es ist stets an deiner Seite und unterbricht so oft sein Spiel, weil „wir jetzt los müssen“ oder „essen müssen“ oder „Zahnputzzeit“ ist …
Was fällt dir sonst noch ein?

Wie oft aber sagst du zu deinem Kind:
„Jetzt nicht“, weil du erstmal einen Kaffee trinken möchtest oder „noch eine Minute“, weil du gerade etwas auf deinem Smartphone liest oder „gleich, Schatz!“, weil du erst noch mit der Nachbarin schnacken möchtest.
Dein Kind wartet jeden Tag so oft auf dich, nimmst du es wahr? Dein Kind hat oft viel Geduld, denn aus deinem „gleich, Schatz“ und „noch eine Minute“ wird so oft eine viel längere Zeitspanne, stimmt’s?

Ab morgen kannst du es anders machen.

Gefühle zulassen

Zum Elternsein gehört neben all der bedingungslosen Liebe auch dazu, wahrzunehmen und sich einzugestehen, dass „Kinderhaben“ mitunter sehr anstrengend ist und wir mehr auf uns selbst achten sollten.
Letzteres ist langfristig auch für die Kinder gesünder.

Heute war bei uns wieder so ein Tag.
Es war für mich als Mama höllisch anstrengend, …
• dass die Kinder nicht „pünktlich“ zum Essen erschienen sind. ⌛
• dass sie dann über das kalte Essen gemeckert haben. ?
• dass alle 5 Minuten eins der Kinder etwas von mir wollte oder mir ein Kotelett ans Ohr gequatscht hat ?.
• dass das kleine Kind zum x-ten Mal nicht freiwillig zum Zähneputzen kam, weil es leider noch nicht verstanden hat, dass Zähneputzen keine Strafe der Eltern ist, sondern für die Zahngesundheit absolut notwendig. ??
• dass die Geschwister sich ungelogen im 10 Minuten Takt in die Wolle gekriegt haben… ?

Und – Hand auf’s Herz – ich konnte es heute kaum erwarten, …
• dass die Kinder endlich einschliefen, weil es ein laaaanger Tag voller Bedürfniserfüllung der Kinder war und ich einfach NICHT MEHR KONNTE. ???

Was wäre für Kinder schlimmer, als Eltern am Limit, die alle Emotionen in sich aufstauen? Wie können Kinder lernen, dass alle Gefühle ihre Berechtigung haben, wenn die eigenen Eltern diese unterdrücken?
Kinder spüren die wahren Gefühle der Erwachsenen sowieso.
Sie fühlen sich allenfalls in ihrer Wahrnehmung gestört, wenn Eltern dann konträr zu ihren Gefühlen reden. Und schlimmstenfalls lernen sie daraus: manche Gefühle sind nicht erlaubt, man darf nicht authentisch sein.

Manchmal nervt es mich, wenn ich abends am Bett der schlafenden Kinder stehe und sie von Herzen liebe – und mich dabei selbst verurteile, tagsüber wegen ihres Verhaltens verärgert gewesen zu sein.
Erstens ist mir schon klar, dass meine Kinder mich ja gar nicht „absichtlich ärgern“ wollten. Sie waren einfach nur ganz pur sie selbst und genau das möchte ich ♥️.
Zweitens weiß ich ja selbst am Besten, dass ich sie deswegen kein bisschen weniger liebe. ?

Aber ich habe wohl in meiner eigenen Kindheit nicht erlebt, dass es wichtig und gesund ist, alle Gefühle zuzulassen…
Da hab ich wohl noch etwas aufzuarbeiten …

Wenn Geschwister streiten …

Geschwister streiten sich im Durchschnitt alle 20 Minuten, sagt die Wissenschaft.
Bei uns ist es derzeit gefühlt deutlich häufiger. Das zehrt an den Nerven.

Die Auslöser sind scheinbar immer dieselben. Beide wollen dasselbe Spielzeug, der eine hat den anderen beschimpft oder einer hat dem anderen versehentlich wehgetan, woraufhin der andere zurückhaut…. etc.

Puh. ? Man möchte als Eltern diesen meist lautstarken Konflikt möglichst schnell beenden.

Aber: Du kannst Dir ziemlich sicher sein, dass Du nicht alle Komponenten des Geschwisterstreits mitbekommen hast. Nicht immer ist der auffällige Unruhestifter wirklich der Streitauslöser gewesen, vielleicht wurde vorher unauffällig provoziert?

⛔ Was sollten wir als Eltern demzufolge definitiv nicht tun?
Zu allererst geht es nicht darum, Täter und Opfer zu benennen, dann Strafen auszusprechen und sogar den mutmaßlichen Übeltäter zu nötigen, sich beim anderen zu entschuldigen.
Das könnte von den Kindern als Grenzüberschreitung und Ungerechtigkeit wahrgenommen werden.

? Wie können wir stattdessen helfen?
• Mische Dich erst ein, wenn jemand weint oder ein Kind dem anderen ernsthaft weh tut. Verlasse während des Streits dennoch nicht den Raum (wie gelegentlich von Experten geraten wird), sondern bleibe in der Nähe, aber ohne zu beobachten.
• Lass die Kinder nach Möglichkeit selbst eine Lösung für ihren Konflikt finden. Du kannst zum Beispiel sagen: „Ich glaube, dass ihr gemeinsam eine Lösung finden könnt. Hat jemand eine Idee?“
Wenn das nicht funktioniert, kann jedes Kind (ohne Anschuldigungen zu formulieren) seine Perspektive darstellen.
Als Eltern können wir hier wachsam zuhören, eventuell wird deutlich, was tatsächlich hinter dem Streit steckt.
• Zeige deutlich Grenzen für den Geschwisterstreit auf. „Ich verstehe, dass es Dich geärgert hat, dass Deine Schwester Deine Pferde umgeworfen hat. Das kannst Du ihr klar sagen, ohne sie zu hauen. Dem anderen wehzutun ist tabu im Streit!“
• Manchmal hilft es, die Kinder einfach abzulenken und mit einer neuen Beschäftigungsidee den Streitmodus zu unterbrechen. Das ist aber nur eine Notlösung, da das Austragen von Konflikten von den Kindern prinzipiell geübt werden sollte.

Selbständigkeit fördern

Musik: „Funny“ (Ilya Truhanov)

Die besten Motorikübungen bietet oft das normale Geschehen im Haushalt.
Wo kannst Du Dein/e Kind/er sinnvoll einbeziehen? Was sind altersgemäße Aufgaben?
Die investierte Zeit lohnt sich – bald schon kann der Nachwuchs Dich unterstützen und dabei soooo viel lernen. ?

Mache zum Beispiel ein Spiel aus dem Wäschesortieren und lass Dein Kind die passenden Socken finden.
Oder mit (ungefährlichen) Wäscheklammern seine Bodies oder Unterhosen an die Leine pinnen.

Den Tisch für die ganze Familie decken, Besteck einräumen oder Geschirrspüler ausräumen machen die Kinder unendlich stolz. ?
Bei uns ist in diesem Zusammenhang übrigens noch nie etwas kaputt gegangen ?

Wenn ein Kind beim Kochen oder Backen helfen darf, fühlt es sich wertgeschätzt.
Du wirst staunen, was Dein Kind schon alles tun kann!
Und wenn es noch dazu sinnvoll in das ohnehin notwendige Tagesgeschehen integriert wird, wird sich Dein Kind unentbehrlich fühlen ??

Oft macht es mehr Spaß, einen Pudding zuzubereiten (Milch abmessen, Zucker löffeln, Tüte aufschneiden und mixen – besseres Koordinationstraining gibt’s nicht!), als Montessori-mäßig Reis von A nach B zu schütten. (Nicht falsch verstehen: wir sind sehr große Montessori Fans! ?).
An den heißen Herd lasse ich meine Jungs natürlich nicht allein und auch bei Verwendung elektrischer Küchengeräte stehe ich dicht daneben.

✨ Die Selbstständigkeit Deines Kindes zu fördern bedeutet auch, ihm Selbstbewusstsein zu vermitteln.

Natürlich muss man das richtige Gleichgewicht finden zwischen behüten und loslassen ♥️?
Und: Du selbst kannst hierbei viel Geduld lernen!
Lass Dein Kind so viel wie möglich unkommentiert erledigen.

Artgerecht ??

Stell dir vor, Du bittest Deinen Partner darum, Dir das Müsli aus der Küche mitzubringen.
Dein Partner antwortet: „Das kann ich machen, aber ich tue es erst, wenn Du vorher Deine Haare kämmst!“

Diese Art der Kommunikation findest Du vermutlich ziemlich absurd, denn es ist nicht okay, einer Bitte mit einer Bedingung zu begegnen. Vor allem nicht mit einer Bedingung, die mit der Bedürfniserfüllung gar nichts zu tun hat.

Warum aber sprechen wir mit Kindern häufig auf diese Weise?

Wenn Dein Kind Dich darum bittet, ihm ein Spielzeug aus dem Regal zu geben und Du antwortest: „Das mache ich erst, wenn Du Deine Zähne geputzt hast“, so wird Dein Kind möglicherweise bockig reagieren.
Du ärgerst Dich, denn die Zähne müssten deiner Meinung nach jetzt endlich geputzt werden…

Versuche doch einmal, es als ein gutes Zeichen anzusehen, wenn Dein Kind nicht „kuscht“ und sofort zum Zähneputzen bereit ist. Es zeigt hier innere Stärke, wenn es sich für seine eigenen Bedürfnisse einsetzt!
Das ist eine großartige Eigenschaft, die es für das spätere Leben dringend braucht und die wir uns alle sicherlich für unsere Kinder von Herzen wünschen.

Hilf Deinem Kind und setze es nicht mit unlogischen Konsequenzen unter Druck.
Sprich auf Augenhöhe. Vielleicht könntest Du sagen: „Ich gebe Dir Dein Spielzeug. Da wir jetzt jedoch dringend Deine Zähne putzen müssen, könntest Du es zum Zähneputzen mitnehmen und dann danach richtig damit spielen.“