
Ich stolpere zur Zeit immer öfter über Blog-Beiträge, die ein fur mich verzerrtes Bild des bedürfnisorientierten Elternseins zeigen, bei dem das Kind scheinbar zu 100% im Mittelpunkt steht.
Oft wirkt es so, als ginge es 24/7 um die Bedürfnisse des Kindes. Im selben Atemzug werden Tipps gegeben, die meiner Meinung nach (vermutlich unwissentlich) am Grundgedanken der Bedürfnisorientierung vorbeischießen:
als wäre es Pflicht, niemals zu schimpfen, immer auf Augenhöhe zu sprechen, das Kind/Baby möglichst pausenlos zu tragen, für jedes Problem und jede Lebensphase einen Tipp aus dem Ärmel schütteln zu können und noch dazu über Jahren im Familienbett zu schlafen.
Das ist natürlich alles prima, wenn diese Einblicke überhaupt der Realität entsprechen und alle happy damit sind.
Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass solche Posts zu großen Missverständnissen führen – gerade bei Menschen, die erst beginnen, sich mit Bedürfnisorientiertheit auseinander zu setzen.
Manche Kommentare unter Posts bestätigen es.
Und was lösen solche Beiträge erst bei Familien aus, die tagtäglich alleinerziehend, mit chronischer Krankheit, finanziellen Sorgen, Schlafmangel, gefühlstarkem Kind, Neurodiversität, Depressionen und anderen Dingen zu jonglieren haben?
„Das können wir sowieso nicht schaffen, dafür fehlt uns die Kraft, dafür haben wir keine Ressourcen…“
Das ist so schade, denn gerade hier sehe ich so viel Potential für Familien!
Natürlich gibt es Aspekte, bei denen es #bedürfnisorientiert auch mal primär ums Kind geht. Wenn ich zum Beispiel auf „unerwünschtes Verhalten“ meines Kindes eingehen möchte, ohne zu strafen oder zu drohen, sondern stattdessen davon ausgehe, dass mein Kind in diesem Moment ein unerfülltes Bedürfnis hat, das nun zu einem bestimmten Verhalten geführt hat, dann deckt Bedürfnisorientierung diesen Zusammenhang auf und geht darauf verständnis- und liebevoll ein, führt zu mehr Bindung zwischen Eltern und Kind.
Sehr wertvoll!
Dennoch darf man den Begriff der Bedürfnisorientiertheit nicht falsch versteht als „alles für’s Kind tun und seine eigenen Bedürfnisse nicht wahrnehmen bzw. zurückstellen“.
Der wichtigste Aspekt der Bedürfnisorientierung besteht nämlich in einem MITEINANDER der Familie, immer unter Einbeziehung der Bedürfnissen ALLER Beteiligten.
Bedürfnisorientiert zu handeln bedeutet also unbedingt auch, für seine eigenen Bedürfnisse als Mutter/Vater einzustehen. Die eigenen Bedürfnisse neben denen des Kindes wahrzunehmen und zu benennen, bedeutet, die Bedürfnisse der ganzen Familie im Blick zu behalten und zu schauen, „… wo fangen wir jetzt an? Bin heute vielleicht erstmal ich selbst an der Reihe, bevor ich voll für mein Kind da sein kann?“
Ja! Definitiv! Ganz wichtig!
Wenn eine Familie sich an der bedürfnisorientierten Beziehung ausrichtet, dann stehen (sofern die Grundbedürfnisse des Kindes erfüllt sind) bedürftige Eltern regelmäßig an erster Stelle. Da lernt ein bedürfnisorientiert begleitetes Kind, sein eigenes Bedürfnis für eine definierte Weile hinten anzustellen.
Es lernt, Vertrauen zu haben, weil es bald an der Reihe ist.
Übrigens musst du für diese Art der Er-/Beziehung auch weder ein Familienbett haben, wenn du ohnehin unter chronischem Schlafmangel leidest, noch musst du dein Kind 24 Stunden lang tragen, wenn du aufgrund täglicher Dauerschmerzen kaum noch aufstehen kannst. Du musst auch nicht alle Worte reflektieren, die du heute zu deinem Kind gesagt hast, wenn du gerade in der nächsten depressiven Phase steckst und einfach nicht „voll da sein“ kannst.
Du musst definitiv nicht erst deine eigenen Kindheitstraumata aufarbeiten, um deinem Kind kein neues mit auf den Weg zu geben.
Du darfst übrigens Fehler machen und jeden Tag oder in jedem Moment immer wieder NEU starten mit der Bedürfnisorientierung.
Niemand kann das von 0 auf 100 – darum geht’s hier auch gar nicht.
Bedürfnisorientierte Erziehung wird so oft missverstanden.
Lass dich nicht abschrecken!
Probier es einfach aus!
Deine Familie kann dadurch nur gewinnen.




