Kinder begleiten

In meinem gestrigen Beitrag habe ich darüber geschrieben, wie schnell wir Erwachsenen manchmal reagieren, wenn Geschwister streiten und eins der Kinder weint. Oft stellen wir uns sofort auf die Seite des Kindes, das weint, ohne die Situation zu hinterfragen.
Das Kind, welches handgreiflich wurde, ist der #Bösewicht …
Und selbst, wenn es natürlich nicht in Ordnung ist, dass ein Kind dem anderen wehtut, so steckt meistens keine Aggression dahinter, sondern blanke Hilflosigkeit.
In meinem gestrigen Beispiel war der große Bruder einfach überfordert.
Er hat seinen kleinen Bruder mehrfach darum gebeten, aufzuhören. Das war seine erste und richtige Intention.
Als sich daraufhin nichts änderte, wurde er verständlicherweise ärgerlich.

Wir können als Eltern oder Erzieher helfen, indem wir aufhören, zu agieren.
Noch dazu sollten wir das Tempo aus der Konfliktbewältigung nehmen.
Wir könnten ganz einfach zunächst wortlos dazukommen, ohne zu bewerten.
Wir könnten vorsichtige Fragen stellen, vor allem an das Kind gerichtet, dass sich vermeintlich aggressiv verhalten hat. Zum Beispiel: wie geht es dir jetzt? Wie ging es dir, bevor dein Bruder geweint hat?

Und so lässt sich aufarbeiten, dass…
• … der Große vielleicht noch deutlicher hätte sagen können: „Stop! Hör auf mit mir zu sprechen, das lenkt mich von meinem Spiel ab!“
• … der Kleine beherzigen sollte, wenn er (sogar mehrfach) um etwas gebeten wird.
• … der Große beim nächsten Mal besser um Hilfe bei einem Erwachsenen bittet oder sein Spielzeug nimmt und den Raum verlässt, wenn er merkt, dass die Wut aufkeimt und bevor es zu Handgreiflichkeiten kommt.

Perspektivwechsel

Ich sitze am Tisch und lese die Zeitung.
Meine Kinder spielen nebeneinander auf dem Wohnzimmerteppich. Es ist so schön friedlich.
Plötzlich, aus dem Nichts, weint der Kleine. Der Große habe ihn gehauen, schluchzt er.
Oh man, wieso muss er immer so schnell aggressiv sein?



Ich sitze auf dem Teppich und spiele vertieft. Neben mir spielt mein keiner Bruder. Alle paar Minuten spricht er mich an, um mir etwas zu zeigen. Das stört mich und bringt mich auf meinem Spiel heraus. Jetzt hab ich ihn schon fünfmal drum gebeten, damit aufzuhören, aber er lässt es nicht. Das nervt! Ich stupse ihn gegen die Schulter, er soll endlich aufhören. Oh man, nun weint er. Mama ist stinksauer und schimpft mit mir.
Wieso sieht sie nicht, dass das ungerecht ist? Ich fühle mich nicht gesehen.

Artgerecht ??

Stell dir vor, Du bittest Deinen Partner darum, Dir das Müsli aus der Küche mitzubringen.
Dein Partner antwortet: „Das kann ich machen, aber ich tue es erst, wenn Du vorher Deine Haare kämmst!“

Diese Art der Kommunikation findest Du vermutlich ziemlich absurd, denn es ist nicht okay, einer Bitte mit einer Bedingung zu begegnen. Vor allem nicht mit einer Bedingung, die mit der Bedürfniserfüllung gar nichts zu tun hat.

Warum aber sprechen wir mit Kindern häufig auf diese Weise?

Wenn Dein Kind Dich darum bittet, ihm ein Spielzeug aus dem Regal zu geben und Du antwortest: „Das mache ich erst, wenn Du Deine Zähne geputzt hast“, so wird Dein Kind möglicherweise bockig reagieren.
Du ärgerst Dich, denn die Zähne müssten deiner Meinung nach jetzt endlich geputzt werden…

Versuche doch einmal, es als ein gutes Zeichen anzusehen, wenn Dein Kind nicht „kuscht“ und sofort zum Zähneputzen bereit ist. Es zeigt hier innere Stärke, wenn es sich für seine eigenen Bedürfnisse einsetzt!
Das ist eine großartige Eigenschaft, die es für das spätere Leben dringend braucht und die wir uns alle sicherlich für unsere Kinder von Herzen wünschen.

Hilf Deinem Kind und setze es nicht mit unlogischen Konsequenzen unter Druck.
Sprich auf Augenhöhe. Vielleicht könntest Du sagen: „Ich gebe Dir Dein Spielzeug. Da wir jetzt jedoch dringend Deine Zähne putzen müssen, könntest Du es zum Zähneputzen mitnehmen und dann danach richtig damit spielen.“